Predigt am Hochfest der Apostel
Petrus und Paulus
Als Angela Merkel im vergangenen Herbst gefragt wird, was sie denn zum Bruch der Ampelkoalition sage, verdreht sie kurz die Augen und kommentiert das Zerwürfnis von Olaf Scholz und Christian Lindner mit nur einem Wort: »Männer!« Nun ist die Analyse der damaligen politischen Gemengelage sehr viel komplexer und hier auch nicht der Ort für ein solches Unterfangen. Die Pointe, die die Altkanzlerin gesetzt hat, trifft jedoch ziemlich passend auch die Hauptakteure des heutigen Tages. Denn auch Petrus und Paulus waren wohl Männer jener Sorte, die einem das Augenverdrehen ziemlich leicht machen.
Petrus kommt aus einfachen Verhältnissen. Zuhause in einem kleinen Dörfchen am See Genezareth arbeitet er als Fischer. Verheiratet ist er auch, zumindest legt das die Erwähnung einer Schwiegermutter nahe. Sein Charakter? Rechthaberisch, cholerisch und wankelmütig. »Auch wenn ich mit dir sterben müsste, Jesus, ich verleugne dich nicht!« Kurz darauf kräht der Hahn. Alle Hähne, die auf unseren Kirchtürmen sitzen, erinnern übrigens an diese Szene in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag, als Petrus, der Fels, einknickt und vorgibt, Jesus nicht zu kennen. Petrus – ein Mann mit ganz schön viel Schatten.
Und Paulus? Paulus ist ein Gelehrter. Er hatte bei Gamaliel studiert, dem Star-Theologen seiner Zeit. Geboren in Tarsus, wächst Paulus in einer Stadt mit griechischer und römischer Kultur auf. Mindestens Griechisch beherrscht er fließend, dazu Hebräisch, vielleicht auch Latein. Ein besonders Kluger also. Sein Motto: Ganz oder gar nicht. Und so macht sich der glühende Eiferer daran, die junge Kirche auszulöschen. Mord und Totschlag bringt er in die Häuser derer, die in der Spur des Jesus von Nazareth unterwegs sind. Bis es ihn vom hohen Ross herunterholt. Vor den Toren der Stadt Damaskus, als er in einer Vision dem Auferstandenen begegnet, der ihn fragt: »Saulus, warum verfolgst du mich?« Der „Saulus-wird-zu-Paulus-Moment“.
Unterm Strich also haben wir es mit zwei Menschen zu tun, die mit ihrem eigenen Ego ganz schön beschäftigt sind. Der eine wie der andere hat eine große Klappe. Der eine wie der andere weiß es ziemlich genau. Und der eine wie der andere ist vom anderen nicht sehr überzeugt. Begegnet sind sie sich nicht sehr häufig. Einmal macht sich Paulus auf den Weg nach Jerusalem, um Petrus zu treffen, eine Art Höflichkeitsbesuch. Ein andermal geht Petrus nach Antiochia, wo Paulus ihm ganz offen Wankelmütigkeit und fehlende Klarheit vorwirft.
Und doch ist die Kirche ohne diese beiden Männer schwer vorstellbar. Denn neben diesem machohaften Gehabe, neben ihrer Großmannssucht, neben ihrer Wankelmütigkeit und neben ihrem Verhaftet-Sein in den patriarchalen Strukturen ihrer Zeit (und das obwohl Jesus so gar nicht patriarchal unterwegs war), neben all diesen Problemanzeigen waren Petrus und Paulus aber jene führenden Köpfe, die ihren eigenen Kopf am Ende hingehalten haben. Der eine wie der andere hat, reifer geworden und weiser als noch am Beginn seines Jesus-Weges, mehr und mehr erkannt, wohin dieser Weg führt. Niemals in die Enge, immer in die Weite. Niemals in die Sklaverei des toten Buchstabens, immer in die Freiheit der Liebe. Niemals in das verschlossene System, immer in eine Kirche mit offenen Türen.
Wenn wir in die Lesungen dieses Festes schauen, begegnen wir einem Petrus, der sich selbst als Befreiter erlebt. Wir begegnen einem Paulus, der sich als Werkzeug erkennt, damit alle, wirklich alle die Botschaft der Liebe erfahren. Und wir begegnen einem Jesus, der – bei allem Wissen um die Schwachheit des Simon – diesen zum Petrus, also zum Felsen dessen macht, was wir später einmal Kirche nennen werden. Freiheit, Liebe und Vertrauen. Dafür steht diese Kirche. Bis heute. Zumindest in der Theorie.
Und die Praxis? Sieht oft anders aus. Deshalb sind ja auch schon so viele gegangen. Vor allem viele Frauen. Sie sind gegangen, weil sie nicht mehr nur wie Angela Merkel die Augen über die Spezies Männer verdrehen wollen, die im katholischen Kosmos, bekleidet mit Kopfbedeckungen im violetten bis purpurroten Farbspektrum, meist sehr genau und oft sehr detailliert wissen, wie Gott ist und was er will, was Männer alles können und dürfen und was Frau alles können sollen und vor allem nicht wollen dürfen.
Vielleicht sollte man daher gerade an diesem sehr männlich geprägten Tag nicht vergessen, dass wir bald schon, am 22. Juli, das Fest der Maria Magdalena feiern, jener Frau also, die bereits die frühe Kirche als »Apostelin der Apostel« verehrt hat. Es mag nur ein kleiner Trost sein, aber wenn ich mir überlege, wie nahe sie Jesus stand (sonst wäre über sie nicht so prominent berichtet worden), wenn ich mir vor Augen führe, dass wir ihr die Botschaft der Auferstehung zu verdanken haben (nicht Petrus und schon gar nicht Paulus, beide waren noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt), wenn ich also davon ausgehen kann, wie wichtig es Jesus war, dass Männer und Frauen gleichermaßen seine Zeuginnen und Zeugen sind, dann kann ich doch nicht anders, als weiterhin alles dafür zu tun, damit dies auch in unserer Kirche immer spürbarer wird.
Ich kann alle gut verstehen – Frauen wie Männer –, die mit Blick auf manches Gehabe in unserer Kirche die Augen verdrehen. Oft genug tue ich das auch. Aber heute nehme ich mir vor, nach vorne zu schauen. Und mit klarem Blick und offenem Herzen den Weg Jesu in unserer Zeit zu suchen. Und ihn zu gehen.
Alexander Bergel