Predigtgedanken zu Weihnachten
Im Anfang, so heißt es, war ein Wort. Kein leeres, kein drohendes, kein zerstörendes Wort. Auch kein spaltendes, kein hassendes, kein wertendes, kein hetzendes, kein schlagendes, kein böses Wort. Nein, im Anfang, da war ein gutes Wort. Und das Wort, so heißt es weiter, das Wort war Gott selbst. An Weihnachten erinnern wir uns: Dieses göttliche Wort ist pure Liebe. Mehr noch, wir feiern: Es gibt einen Menschen, der diese Liebe verkörpert wie kein anderer. Wir feiern die Geburt eines Kindes, das voll von Gottes Kraft war und als Erwachsener die Menschen dazu ermutigt hat, so zu leben wie er. Das Verbindende zu suchen, nicht das Trennende. Der Liebe Raum zu geben, nicht dem Hass.
Hört sich gut an! Idealer Stoff für eine Weihnachtspredigt. Aber wie soll das gehen, so ganz konkret? Vielleicht wäre einer der ersten Schritte, dem zu folgen, was Angela Merkel, die Altkanzlerin, einmal mit Blick auf unsere Kommunikation gesagt hat: „Achtet auf die Sprache! Denn die Sprache ist die Vorform des Handelns.“ Achtet auf die Sprache … Ja, wie ist das mit unserer Sprache? Wie reden wir miteinander? Wie sprechen wir über andere? Warum gehen so viele die Wände hoch, wenn sie in einer Diskussion merken: Wir kommen nicht auf einen Nenner? Warum ist es oft so schwer, die Meinung des anderen stehen zu lassen?
Wir erleben in vielen Teilen der Welt, auch bei uns, vielleicht sogar in diesen weihnachtlichen Tagen unterm Tannenbaum, wieviel Offenheit und Ehrlichkeit und manchmal auch Mut es kostet, in einen wirklichen Dialog zu treten. Familien, Freundeskreise, Gruppen, Kollegien, ja, ganze Gesellschaften, auch die Kirchen, drohen, daran zu zerbrechen, dass immer mehr immer öfter sagen: „Mit dem kann man ja nicht reden! Die ist ja sowas von drüber!“ Woher kommt diese Polarisierung? Warum wird der Ton so oft immer rauer? Weshalb flüchten sich immer mehr Menschen in ihre sichere Burg, in ihre Community, in ihre Bubble?
„Achtet auf die Sprache! Denn die Sprache ist die Vorform des Handelns.“ Das stimmt. Denn irgendwann geht es nicht mehr einfach nur um unterschiedliche Meinungen. Wenn der Gesprächsfaden abgerissen ist und man in seiner festen Burg die Kanonen auf die Brüstung stellt, kommen Argumente nicht mehr an. Dann wird das Gegenüber zum Feind, den man besiegen muss. Doch nicht nur das.
Wenn wir darauf schauen, wie antisemitische Erzählungen in den letzten Monaten wieder salonfähig geworden sind, Erzählungen, die Menschen überall auf der Welt, nur weil sie jüdisch sind, an den Pranger stellen und immer öfter um ihr Leben fürchten lassen, wenn wir zunehmend Zeuginnen und Zeugen davon werden, wie Menschen anderer Herkunft, anderer Hautfarbe, anderer Art zu leben, zu lieben oder zu glauben ihre uneingeschränkte Würde abgesprochen wird, wenn in unseren Nachbarschaften Kinder und Frauen immer häufiger Opfer häuslicher Gewalt und nicht selten einfach getötet werden – dann stellt sich die Frage: Was können wir tun?
Wer Weihnachten feiert, wer also feiert, dass Gott Mensch geworden ist, der muss sich doch – zumindest dann, wenn dieses Fest mehr sein soll als ein paar gemütliche Stunden –, der muss sich doch inspirieren lassen von dem, den wir feiern. Der muss schauen, welche Worte er gefunden hat, wie seine Worte Dinge beim Namen genannt, vor allem aber wie seine Worte jeden Menschen wahr- und erstgenommen, wie sie Menschen geheilt und befreit haben.
Konkret: Was wäre, wenn wir an diesem Weihnachtsfest eine neue Sprache finden würden? Eine Sprache, die nicht abwertet, sondern aufrichtet. Eine Sprache, die nicht spaltet, sondern zusammenführt. Eine Sprache, die nicht hetzt, sondern Frieden schenkt. Weihnachten ist das Fest der Erlösung, so heißt es. Weil Gott einen Schritt auf die Menschen zugegangen ist. Was hindert uns daran, das auch zu tun?
Alexander Bergel