Ein Wort nur – und alles ist anders. Kennen Sie das? Keine Belehrung, kein Nachhilfeunterricht, keine Diskussion – nichts dergleichen kann die Dinge so kraftvoll ändern, wie es in jenem Augenblick nur ein einziges Wort vermochte: „Maria“. Mit allem hatte sie gerechnet, dort in der Dunkelheit am Grab. Sie hatte sich sogar auf eine Diskussion mit dem vermuteten Gärtner eingelassen, wohin er Jesus denn gebracht habe. War sie doch einfach nur gekommen, um den, den sie liebte, noch einmal zu salben. Und ihn dann endgültig loszulassen. Aber er war nicht mehr da. Nicht mal den Leichnam hatten sie ihr gelassen.
Doch dann – dann hört Maria ihren Namen, und erkennt durch den Schleier ihrer verweinten Augen, was eigentlich nicht sein kann: Jesus lebt! Natürlich will sie ihn festhalten, ihn an sich ziehen, ihn in die Arme schließen. Doch das, das geht nicht mehr. Jesus lebt – das spürt sie. Aber ein Weiter so – unmöglich. Ostern ändert alles. Den Blick. Das Gefühl. Die Routine. Aber nicht einfach so. Damit das geschehen kann, brauche ich eine Erfahrung. Und diese Erfahrung heißt: Ich bin gemeint! Ich und mein Leben. Ich und mein Scheitern. Ich und meine Angst. Ich und meine Trauer. Ich und alle, die zu mir gehören. Ich muss Ostern erfahren. Nur – wie geht das?
Das ist eine gute Frage. Und die Antwort? Eine Antwort gibt es nicht. Aber ganz viele. Weil jeder, weil jede eigene Erfahrungen hat. Ähnliche und ganz andere. Wir könnten anfangen, uns davon zu erzählen. Einer würde vielleicht davon berichten, wie es sich anfühlt, wenn etwas Neues beginnt. Wenn trotz aller Schmerzen Heilung möglich wird. Oder eine ausweglose Situation plötzlich nicht mehr ausweglos ist. Eine andere würde aufstehen und davon erzählen, wie es sich anfühlt, kein Opfer mehr zu sein, sondern stark zu werden.
Wieder jemand anderes könnte davon berichten, dass er in diesen uralten Geschichten verrückterweise sein Leben wiederfindet. Dass er, selbst wenn es Noahs Arche nie gegeben hätte, genau weiß, dass man sie bauen kann – über den Scherben und Trümmern des eigenen Lebens. Und noch ein anderer erzählt von seiner Befreiungsgeschichte, von seinem Auszug aus dem Sklavenhaus, das bei ihm nicht Ägypten, sondern Alkohol heißt oder zerstörerische Beziehung oder sklavisches Sich-Kleinmachen. Und wieder jemand anderes erinnert sich, wie sehr ihn die Verheißung, dass alle Tränen abgewischt werden, am Leben gehalten hat, weil es nämlich nicht nur eine Verheißung war, sondern eine reale Erfahrung.
Und wenn wir schon mal beim Erzählen wären, stünde vielleicht noch jemand auf und sagte: „Wisst ihr was? Das, was die Jüngerinnen und Jünger damals erlebt haben, die es erst selbst nicht glauben konnten – dass Jesus lebt nämlich –, diese Leute haben am Ende alles auf eine Karte gesetzt, haben ihm geglaubt, haben ihm ihr Herz geschenkt – und haben so erfahren: Ostern ist kein Märchen. Ostern ist real. Ostern wirkt. Trotz allem! Und genau das – das glaube ich auch. Denn genau diese Kraft hat mich ergriffen. Und prägt mich. Und hält mich am Leben. Trotz allem.“
So könnte es gehen. Ich glaube sogar: Nur so kann es gehen! Wir wissen doch alle, wie es sich anfühlt, wenn einem der Karfreitag noch in den Knochen steckt oder der Karsamstag bleischwer alles unter sich begräbt. Wer kennt sie nicht, die Angst vor der Zukunft, die Angst vor Krieg und Terror? Es ist doch kaum noch auszuhalten, wie die Potentaten dieser Welt mit dem Leben ihrer Völker spielen, wie Menschen dahingemetzelt werden, wie ganze Regionen der Erde unbewohnbar werden. Und dann die vielen eigenen Fragezeichen. Der eigene Schmerz. Und der jener, die mir ganz nahestehen und denen ich nicht helfen kann.
Ostern kommt nicht auf Kommando. Auferstehung, Heilung, Zukunft – all das ist manchmal unendlich weit weg. Aber genau deshalb, ja, genau deshalb brauchen wir die Gegengeschichten – hineinerzählt mitten in die Karfreitags- und Karsamstagskatastophen unseres Lebens. Geschichten, die lebendig sind, weil Menschen sie erlebt haben. Geschichten, die lebendig sind, weil Sie sie erlebt haben. So wie Maria damals am Grab ihre Geschichte erlebt hat. Sie ist nicht vor dem Leben weggelaufen. Nein, sie hat die Finsternis ausgehalten. Und mittendrin, mitten in der Finsternis hat sie ein Wort gehört, das alles ändern sollte. Gesprochen von dem, der alles ändern konnte. Maria hat ihre Geschichte weitererzählt. Deshalb feiern wir heute Ostern. Und Ihre Ostergeschichte – wie geht die?
Alexander Bergel