Pierre Stutz zu Gast
beim Ökumenischen Neujahrsempfang
Wir hatten eigentlich nicht damit gerechnet, dass er zusagen würde, als wir Pierre Stutz, einem der meistgelesenen geistlichen Autoren Deutschlands und der Schweiz, im September die Frage stellten, ob er beim Ökumenischen Neujahrsempfang im Osnabrücker Norden unser Gast sein möchte. Die Antwort kam schnell: »Na klar komme ich. Ich freue mich sehr!« Und wir erst!
Es mag manch anderem genauso gegangen sein, und so waren am vergangenen Sonntag um die 200 Menschen in die Franziskuskirche gekommen, um gemeinsam ins neue Jahr zu starten und Pierre Stutz zu begegnen. Nach einem kleinen Gottesdienst unter dem Psalmwort »Vor wem sollte ich mich fürchten?« kam Pierre Stutz schnell zur Sache.
Sein Leitgedanke »Verunsichert bin ich und aufgehoben« wollte der Schweizer Autor, der seit sechs Jahren mit seinem Mann in Osnabrück lebt, als Ermutigung verstanden wissen, der eigenen Verunsicherung nicht auszuweichen, sie vielmehr zu akzeptieren und gleichermaßen wahrzunehmen: Ich bin in allem und trotz allem aufgehoben!
Drei Ermutigungen
Die Kernpunkte seines rund 45-minütigen Vortrags waren: Das Wesentliche ist schon da! Zu-Grunde-gehen! Menschlichkeit wagen – mit Paradox barmherzig leben! Nicht nur der Blick in seine Biografie zeigt ein Leben voller Brüche, ein Leben, das immer wieder an Grenzen stößt und ein Leben, das durch all dies hindurch immer wieder aus dem Vollen schöpft, nein, man merkt Pierre Stutz an, dass er aus diesen Erfahrungen heraus lebt – und anderen nicht nur theoretisch davon erzählt, wie das Leben gelingen könnte. Wer Stutz hört und erlebt, weiß, dass es gelingen kann!
»Ich bin nicht naiv«, sagt der Schweizer Autor, der in Osnabrück eine zweite Heimat gefunden hat, »ich weiß, wie schwer, wie dramatisch, wie zerstörerisch die Welt sein kann. Kain und Abel (Mord und Totschlag), der Turm zu Babel (Gier statt Ethik) und noch viele andere biblische Erzählungen sind bis heute Realität. Aber«, so Pierre Stutz weiter, »es gibt doch auch immer noch das andere. Das Wesentliche ist schon da! Und das begegnet uns Tag für Tag eben auch: Die Welt ist eine wunderbare. Am Anfang steht nicht die Ur-Sünde, sondern der Ur-Segen!«
Genau deshalb ermutigt Pierre Stutz seine Zuhörerinnen und Zuhörer, die Augen zu öffnen für die Schönheit der täglichen Wunder. Und – vielleicht noch anstrengender – immer wieder zu versuchen, im Hier und Jetzt zu leben. »Wenn Sie duschen, dann duschen Sie! Stellen Sie sich ruhig einmal die Frage, wer sonst alles mit in Ihrer Dusche steht! Möchten Sie das wirklich? Lassen Sie die Sorgen und Probleme draußen!«
Zwischen Karfreitag und Ostern liegt der Karsamstag
Zu-Grunde-gehen – mit diesem Wort verbindet Pierre Stutz die Erfahrung des Karsamstags, also des Tages zwischen dem todbringenden Karfreitag und dem lebenschaffenden Ostermorgen. Der Tag dazwischen steht für das Viele, das sich nicht lösen lässt. Für das, wo wir auf Erlösung und Heilung warten. »Wenn das Alte nicht mehr trägt und das Neue noch in weiter Ferne ist: Der Karsamstag ist der Tag des ‚Zu-Grunde-Gehens‘. Wer diesen Tag erlebt und aushält, hält die Verunsicherung aus. Hält sie gemeinsam mit anderen aus. Vielleicht ist das einer der ganz wichtigen Gedanken in dieser Zeit: Wir haben für vieles keine Lösung. Aber wir können es gemeinsam aushalten! Dafür steht der Karsamstag.«
Pierre Stutz bedauerte, dass es neben den großen Liturgien des Karfreitags und der Osternacht leider keine Liturgie des Karsamstags gebe. In der Gesprächszeit nach dem Vortrag konnte Pfarrer Alexander Bergel zur Überraschung und Freude des Gastes von einer solchen Liturgie berichten, die schon seit Jahren in der Pfarrei Christus König gefeiert wird. Auch an diesem Karsamstag, dem 30. März um 9 Uhr in St. Franziskus. So, wie es Stutz in seinem Leben zwischen dem Kreuz und der Auferstehung erlebt hat, geht es in dieser Liturgie darum, gemeinsam die Leere auszuhalten, ohne zu wissen, wann genau Ostern kommt.
Unterwegs mit vielen Freundinnen und Freunden
Immer wieder sprach Pierre Stutz von seinem ‚Lebensfreund aus Nazareth‘ und den vielen Mystikerinnen und Mystikern im Christentum und in anderen Religionen, die wie die heilige Teresa von Avila »Gott auch zwischen den Kochtöpfen finden« können. »Wo Sehnsucht und Verzweiflung sich einen, ereignet sich Mystik.« Ein weiteres Wort der Ermutigung, Menschlichkeit zu wagen und mit dem Paradoxen barmherzig zu leben. Vielleicht gelingt es so immer mehr, selbst zu erfahren, was die evangelische Theologien Dorothee Sölle, mit der er »gerne und trefflich streiten« konnte, über mystische Menschen sagte: »Mystiker sind grenzenlos glücklich und immer in Schwierigkeiten!«
Im Gespräch nach dem Vortrag wurden manche Themen noch weiter vertieft. Vielen war anzumerken, dass sie die Gedankenwelt von Pierre Stutz auf unterschiedliche Weise angerührt und nachdenklich gemacht hat. Beim anschließenden Sektempfang, den der Arbeitskreis Ökumene wieder wunderbar vorbereitet hatte, standen viele der Gäste aus Nah und Fern noch lange zusammen. Ein gelungener Abend, der weiterwirken wird.
Alexander Bergel
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Einige Bilder des Abends
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